Ein Auffahrunfall ist eines der häufigsten Unfallgeschehen im deutschen Straßenverkehr. Oftmals wird dabei pauschal dem auffahrenden Fahrzeugführer die Schuld zugeschrieben. Doch so eindeutig ist die rechtliche Lage nicht immer. Was sollte man wissen, um bei einem Auffahrunfall korrekt zu handeln, welche Mythen kursieren und wie läuft die Regulierung solcher Fälle ab? Dieser Artikel gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen, klärt rechtliche Grundlagen und zeigt auf, wie Betroffene ihre Ansprüche geltend machen können.
Wer haftet bei einem Auffahrunfall?
Die weit verbreitete Annahme, dass der Auffahrende immer schuld ist, ist ein Irrglaube. Grundsätzlich gilt zwar, dass ein ausreichender Sicherheitsabstand einzuhalten ist, wie es in § 4 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt ist. Der Auffahrende haftet jedoch nicht automatisch allein. Es muss geprüft werden, ob der Vorausfahrende durch plötzliches und grundloses Bremsen oder andere Fahrmanöver zur Entstehung des Unfalls beigetragen hat.
Die Haftungsverteilung richtet sich nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sowie nach den allgemeinen Verschuldensgrundsätzen des § 823 Abs. 1 BGB. Beide Parteien können anteilig haftbar gemacht werden, was insbesondere bei plötzlichem Bremsen ohne erkennbaren Grund oder technischen Defekten relevant ist.
Wie wird die Schuldfrage geklärt?
Die Klärung der Schuldfrage erfolgt durch eine umfassende Unfallanalyse. Hierzu zählen Zeugenaussagen, Unfallskizzen, Dashcam-Aufnahmen und Gutachten eines Sachverständigen. In der Praxis wird auch die polizeiliche Unfallaufnahme herangezogen, die wesentliche Hinweise auf den Unfallhergang liefert. Entscheidend ist, ob der Auffahrende einen ausreichenden Abstand einhielt oder ob der Vorausfahrende eine Verkehrssituation fahrlässig herbeigeführt hat.
Rechtsprechung hierzu bietet beispielsweise das Oberlandesgericht Hamm (Az. I-6 U 52/20), das entschied, dass ein plötzliches Bremsen ohne zwingenden Grund den Vorausfahrenden zu einer Mitverschuldensquote verpflichten kann.
Welche Ansprüche können geltend gemacht werden?
Bei einem Auffahrunfall stehen den Geschädigten verschiedene Ansprüche zu. Dazu gehören:
- Sachschadensersatz: Gemäß § 249 BGB ist der Schädiger verpflichtet, den Zustand wiederherzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte. Dazu zählen Reparaturkosten, Wertminderung und Mietwagenkosten.
- Schmerzensgeld: Wurden bei dem Unfall Personen verletzt, kann nach § 253 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld bestehen. Die Höhe orientiert sich an der Schwere der Verletzungen und einschlägiger Rechtsprechung.
- Haushaltsführungsschaden: Ist der Geschädigte aufgrund von Verletzungen nicht mehr in der Lage, seinen Haushalt zu führen, können die hierdurch entstehenden Kosten geltend gemacht werden.
Wie läuft die Regulierung ab?
Die Regulierung eines Auffahrunfalls erfolgt in der Regel über die Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers. Zunächst wird eine Schadenmeldung eingereicht, die alle relevanten Informationen wie Unfallzeitpunkt, Unfallhergang und Beweismittel enthält. Anschließend prüft die Versicherung die Haftungsfrage und legt die Entschädigung fest.
Für Geschädigte empfiehlt es sich, einen Anwalt hinzuzuziehen, da Versicherungen oft versuchen, die Ansprüche zu reduzieren. Ein erfahrener Anwalt kann die Forderungen durchsetzen und eine angemessene Entschädigung sicherstellen. Auch das Einschalten eines unabhängigen Gutachters kann sinnvoll sein, um die Schadenshöhe korrekt zu beziffern.
Welche Mythen kursieren rund um den Auffahrunfall?
Ein verbreiteter Mythos ist, dass der Auffahrende immer schuld sei. Wie bereits erläutert, kann jedoch auch der Vorausfahrende eine Mitschuld tragen. Ebenso hält sich der Irrglaube, dass Dashcam-Aufnahmen vor Gericht nicht zugelassen sind. Tatsächlich hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil (Az. VI ZR 233/17) klargestellt, dass solche Aufnahmen unter bestimmten Voraussetzungen als Beweismittel verwendet werden dürfen.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Ein Auffahrunfall ist oft komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint. Die Schuldfrage hängt von vielen Faktoren ab, die sorgfältig analysiert werden müssen. Betroffene sollten sich zeitnah um eine umfassende Beweissicherung kümmern und rechtlichen Beistand hinzuziehen, um ihre Ansprüche effektiv geltend zu machen. Die Zukunft könnte durch den verstärkten Einsatz von Fahrerassistenzsystemen und automatisierten Fahrzeugen neue Entwicklungen in der Unfallregulierung bringen. Diese Technologien könnten nicht nur die Unfallzahlen reduzieren, sondern auch die Schuldfrage transparenter machen.
